Gesuchte Cloud-Native-Expertise: Fachkräftemangel bremst Cloud im Mittelstand

Ein rotes und gesuchtes Strichmännchen sticht aus eine Menge an weißen Strichmännchen hervor.
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Fachpersonal zählt zu den wichtigsten Restriktionen für Cloud-Programme, wie eine aktuelle Studie von ISG und EuroCloud Native (ECN) zeigt. „Es fällt dem Mittelstand schwer, die nötige Kompetenz selbst zu entwickeln“, sagt Sven Ramuschkat von tecRacer. „Um Cloud-Native-Chancen voll auszuschöpfen, bedarf es an spezifischem und vor allen Dingen tiefgreifend technologischem Know-how“, sagt Marc Sundermann von CLOUDETEER. Wie sich Mittelstand, Provider und ECN der Herausforderung stellen.

Software iterativ und kontinuierlich weiterentwickeln, Systeme stabiler betreiben und Applikationen automatisch skalieren lassen – zwar bieten Cloud-Native-Anwendungen dem Mittelstand viele Vorteile. Aber die Mehrheit der Unternehmen nutzt die Potenziale für die eigenen Geschäftsmodelle nicht aus, wie eine aktuelle Gemeinschaftsumfrage von ISG und ECN zeigt. Woran das nach Meinung der IT-Marktforscher:innen liegt: Der Fachkräftemangel bremst in fast vier von zehn Fällen die Cloud-Strategie aus. Statt sich auf Innovationsthemen zu fokussieren, priorisieren IT-Verantwortliche und ihre Teams die im Business drängenden Themen. Eine eingeschränkte Sicht auf die Technologie, derer sich die Mehrzahl der von ISG Befragten aus Firmen ab 50 Mitarbeiter:innen, die Cloud- und Cloud-Native-Technologien anwenden oder den Einsatz planen, auch bewusst ist.

Cloud-Native-Provider unterstützen Mittelstand mit Know-how

Sven Ramuschkat, Managing Director, Co-Founder bei tecRacer GmbH & Co. KG
Sven Ramuschkat, Managing Director, Co-Founder bei tecRacer

Betriebswirtschaftliches Know-how mit Cloud-Native-Expertise kombinieren und mit der dynamischen technologischen Entwicklung der Hyperscaler Schritt halten: „Es fällt dem Mittelstand schwer, die nötige Kompetenz selbst zu entwickeln“, sagt Sven Ramuschkat, Managing Director, Co-Founder bei tecRacer. „Um Cloud-Native-Chancen voll auszuschöpfen, bedarf es an spezifischem und vor allen Dingen tiefgreifend technologischem Know-how“, sagt Marc Sundermann, CEO bei CLOUDETEER. Beide Cloud-Native-Provider unterstützen Kund:innen aus dem Mittelstand mit Know-how. Und beide Anbieter:innen engagieren sich in der ECN, die seit über einem Jahr die deutsche Cloud-Native-Providerlandschaft unter einem Dach versammelt. Dienstleister:innen, deren Spezialisierung für 85 Prozent der von ISG befragten IT-Verantwortlichen das ausschlaggebende Kriterium ist, wenn sie die gesuchte Cloud-Native-Expertise schließlich extern einkaufen.

Schulungen als Türöffner fürs Projektgeschäft

Sich spezialisieren und auf eine Sache konzentrieren: Im Jahr 2006 gründete Ramuschkat eine Entwicklungsabteilung, aus der tecRacer hervorging. „Dank unserer Zentrierung waren wir vier Jahre später der erste Amazon-Web-Services-Partner (AWS) in Deutschland“, sagt Ramuschkat. „Zwar bieten wir heute ein sehr breites Consulting- und Schulungsportfolio, bleiben dabei aber auf AWS fokussiert.“ Pro Jahr trainiert der Cloud-Native-Provider mit Sitz in Hannover rund 2.000 Menschen. Ramuschkat: „Unser Aus- und Weiterbildungsangebot war dabei von Anfang an auch ein Türöffner fürs Projektgeschäft im Mittelstand.“

Cloud-Native-Haltung lässt sich nicht einkaufen

Marc Sundermann, CEO bei Cloudeteer GmbH
Marc Sundermann, CEO bei CLOUDETEER

Cloud-Chancen mit Projekten im Mittelstand ausschöpfen: „Fehlende Expertise kaufen die Unternehmen bei uns ein“, sagt Sundermann: „Manchmal möchten Firmen unsere Software dann selbst administrieren und verwalten können.“ Eine Aufgabe, die Kund:innen oft unterschätzen: „Wer Cloud-Native-Anwendungen entwickelt und betreibt, muss sich in neue Rollen einfinden und erkennen, wie langfristig die Projekte zumeist sind“, sagt Sundermann. So setzen Cloud-Native-Apps eine agile Kultur voraus. Eine Haltung, die zwar Arbeitsweise und Denkweise der Provider bestimmt, aber die sich Auftraggeber:innen nicht gemeinsam mit der Software einkaufen können.

Mitarbeiter:innen müssen umdenken

Apropos einkaufen: „Die Kund:innen können eigentlich nur das einkaufen, was sie auch verstanden haben“, sagt Ramuschkat. Was das praktisch bedeutet: „In der Cloud-Native-Softwarezukunft geht es nur noch um Services“, sagt Ramuschkat. „Teils schreiben Firmen heute aber Leistungen aus, die längst obsolet sind.“ Die Schulungen von tecRacer befähigen die Unternehmen in diesem Punkt zur Selbsthilfe: „Wer bislang besonders gut darin war, aus einer Appliance die letzten Bit rauszuholen, muss umdenken.“ Nicht anders hat es der Provider selbst gemacht: „Wir schulen heute nicht nur, sondern bauen in den Unternehmen Kompetenzzentren auf oder helfen im Mittelstand auch bei Ausschreibungen.“ Selbst dynamische Preismodelle, wie sie die Cloud mit sich bringt, sind teils noch unbekanntes Terrain.

Cloud Native als Chance für Firma und Beruf erkennen

Umdenken, sich selbst in Frage stellen und neue Wege in die Cloud-Native-Softwarezukunft gehen: „Zwar sind unsere Projekte keine Black-Box“, sagt Sundermann. „Und wer Anwendungen später selbst betreiben möchte, den trainieren wir entsprechend.“ Was das aber voraussetzt: „Kolleg:innen, die bereit sind, sich selbst zu hinterfragen, weil sie Cloud Native als Chance für die Firma und den eigenen beruflichen Wandel erkennen.“ Wo immer das nicht gelingt, ziehen neuen Rollen im mittelständischen IT-Betrieb ein. Sogenannte Providermanager:innen suchen, bewerten, engagieren und steuern beispielsweise immer öfter Anbieter:innen.

96.000 offene IT-Jobs in Deutschland: Lösungsbeispiel Frauenförderung

Was den Mangel an IT-Expertise betrifft, spiegelt sich die Situation in der Kundschaft bei Dienstleistenden wider. „Wir können nicht so wachsen, wie es uns der Markt ermöglichen würde“, sagt Sundermann. „Wir suchen kontinuierlich und stellen kontinuierlich ein“, sagt Ramuschkat. Wie groß der Bedarf ist, hat Bitkom untersucht: 96.000 Jobs für IT-Fachkräfte sind in Deutschland dieser Tage branchenübergreifend offen – 12 Prozent mehr als im Vorjahr. Gerade Programmierer:innen sind besonders gefragt: Vier von zehn Unternehmen benötigen Software-Entwickler:innen, hält die Befragung fest. Welche Lösungen sich da anbieten: Beispielsweise Karrierepfade für Frauen zu öffnen und zu verbessern. Schließlich sind laut Studie vom eco Verband nur rund 17 Prozent der Mitarbeitenden in der hiesigen IT-Branche weiblich. Mit seiner Initiative Ladies in Tech möchte der Internetverband das ändern.

Nachwuchskräfte finden, eigene Mitarbeitende weiterentwickeln

Unausgeschöpfte Potenziale zu erschließen, ist auch anderswo ein Weg aus dem Dilemma: „Im Consulting haben wir gute Erfahrungen mit Quereinsteiger:innen gemacht“, sagt Ramuschkat. Sundermann: „Wir werben Fachkräfte aus dem Ausland an und kooperieren mit internationalen Hochschulen.“ Zudem lassen sich nicht nur über Jobbörsen und Karrieremessen Nachwuchskräfte finden, sondern über universitäre Nutzergruppen zu Spezialthemen wie Machine Learning. Ramuschkat: „Sind Cloud Senior Consultants momentan nicht in Hülle und Fülle verfügbar, entwickeln wir unsere eigenen Mitarbeiter:innen weiter.“ Wovon sich eher abraten lässt: „Headhunter!“, sagt Sundermann: „Teils nutzen diese die Mechaniken des überhitzten Markts für sich aus.“ Einmal angeworben sprechen Recruiter:innen die neuen Kolleg:innen nach der Karenzzeit wieder an, um sie direkt erneut zu vermitteln. „Ein Provisionsgeschäft mit recht einseitigem Nutzen“, sagt Sundermann.

Ökosystem EuroCloud Native: Kompetenzen ausgleichen, Interesse vermitteln

„Nicht nur die IT sucht Mitarbeitende, sondern alle Branchen“, sagt Dr. Nils Kaufmann, der die ECN seit Gründung leitet. „Zudem geht die Generation der Babyboomer in den nächsten Jahren in Rente.“ Um den Know-how-Bedarf künftig zu decken, sind kreative Wege gefragt. Und das zum einen im Hinblick auf Cloud-Native-Technologien und zum anderen auf die Digitalisierung Deutschlands insgesamt. Was Kaufmann empfiehlt: „Wer die eigenen Talente ausbildet und weiterentwickelt, kann langfristig von dem Invest profitieren.“ Welche Lösungen die ECN Mittelstand und Mitgliedern anbieten möchte: „Zum Beispiel Ökosysteme, die Kompetenzen ausgleichen und Interessen vermitteln“, sagt Kaufmann: „Schließlich heißt Cloud-Native-Kultur mehr Coopetition und weniger Competition“. So bildet die Cloud-Native-Initiative von EuroCloud Deutschland den Markt und das Netz der Cloud-Native-Anbieter:innen in Deutschlands erstmals transparent ab. Welche Früchte das bereits trägt: „In einigen Projekten ergänzen wir die Expertise von CLOUDETEER bereits mit der von anderen Providern aus der Initiative“, sagt Sundermann. Nicht anders tecRacer: „Kund:innen wollen Multi-Cloud während wir uns weiter spezialisieren möchten“, sagt Ramuschkat: „Über die ECN finden wir auch hier immer die passenden Partner:innen.“

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Über Nils Klute
Nils Klute ist IT-Fachredakteur. Egal, ob für IT-Medien wie heise.de, zdnet.de und silicon.de, für IT-Unternehmen wie SAP, T-Systems und Sony oder für B2B-Agenturen wie Palmer Hargreaves, Pleon Kohtes Klewes (heute Ketchum) und rheinfaktor – Nils Klute schreibt und spricht seit mehr als 15 Jahren über die Themen, die die IT- und Digitalwirtschaft bewegen. Von der Datenwirtschaft mit Gaia-X über Künstliche Intelligenz im Mittelstand bis hin zu Cloud-Native-Technologien - als Projektmanager Kommunikation Cloud Services ist er bei EuroCloud Deutschland_eco e.V. für das Content Marketing rund um die Themen des Verbands verantwortlich. Zudem unterstützt er KI-Projekte wie Service-Meister und Initiativen wie EuroCloud Native, Channel2Cloud oder EuroCloud Next Leaders mit Blogbeiträgen, Namensartikeln, Interviews, Pressemitteilungen, Konzepten und Strategien. Beruflich wie privat ist er auf LinkedIn und Twitter unterwegs.