Cloud Native: Wertschöpfung über IT und Software neu denken und managen

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Kundenbeziehungen digitalisieren und Produktlebenszyklen datenbasiert evaluieren – wer dabei zwar an die Public Cloud denkt, aber nur, um Kosten zu sparen, der ist auf dem Holzweg. Wie Cloud-Native-Anbieter Kunden und Applikationen Luft zum Atmen verschaffen. Ein Interview mit Heiko Henkes, Director & Principal Analyst bei ISG Germany, und Dr. Nils Kaufmann, Leiter EuroCloud Native.

Was macht einen IT-Dienstleister eigentlich zum Cloud-Native-Provider?

Nils Kaufmann: Cloud-Native-Anbieter sind gewissermaßen Softwarehäuser, die sich darauf spezialisiert haben, Applikationen in der Public Cloud für die Public Cloud zu entwickeln. Das heißt, sie schöpfen die technologischen Möglichkeiten auf den Plattformen der Public-Cloud-Anbieter voll aus.

Heiko Henkes: Darüber hinaus bringen sie sich als betriebswirtschaftliche Berater in die Projekte ein, da sie sich mit den Vertrags- und Abrechnungsmodellen der Public-Cloud-Provider respektive Hyperscaler auskennen. Laufend analysieren und optimieren sie die Cloud-Native-Anwendungen ihrer Kunden, um beispielsweise das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu optimieren. Ein Cloud-Native-Provider ist zudem nicht immer der richtige Partner für die Betreuung sogenannter Legacy-Anwendungen aus der alten IT-Welt. Letztlich verteilen Cloud-Native-Provider „Flugblättchen“ für Hyperscaler-Infrastruktur- und Plattform-Anbieter, um deren Consumption nach oben zu treiben und prozentual oder pauschal in Form einer Service-Pauschale daran zu partizipieren.

Was zeichnet Cloud-Native-Applikationen aus?

Kaufmann: Die Anwendungen sind hoch standardisiert und hoch defragmentiert. Beispielsweise sind in einer solchen Architektur die Middlewares, Back- und Frontends einer E-Commerce-Suite lose gekoppelte Bausteine. Der Vorteil: Die Software lässt sich einfacher auf den Kundenbedarf zuschneiden. Zudem ist die Architektur darauf ausgelegt, sich selbst dynamisch anzupassen – immer abgestimmt auf Bedarf, Anforderungen und Auslastung.

Henkes: Diese Anwendungen sind hochgradig modular, anpassungsfähig und fehlertolerant, was den Endbenutzern einen besseren Nutzen bietet. Eigenschaften wie diese machen zwar die Softwareentwicklung komplex und teuer. Aber der Aufwand rechnet sich über den Betrieb. Im Gegensatz zu monolithischen Anwendungen, wie etwa einem ERP-System, skaliert Cloud-Native-Software automatisch, provisioniert Ressourcen eigenständig und spart damit Kosten.

Wie verdienen Cloud-Native-Anbieter in einer derart agilen Welt ihr Geld?

Henkes: Über ihre hohe Spezialisierung! Cloud-Natives automatisieren, standardisieren und virtualisieren alles, was über die Public Cloud möglich ist. So erschließen sie sich mit ihrem Know-how Skaleneffekte, Margen und Umsätze…

Kaufmann: …und so unterscheiden sie sich wiederum etwa von Hostern, die für ihre Kunden zum Beispiel einen Linux-Server aufsetzen und den Job einmal in Rechnung stellen.

Und welche Jobs rechnen Cloud-Native-Anbieter dagegen ab?

Kaufmann: Sie beraten ihre Auftraggeber, durchleuchten die vorhandene Applikationslandschaft, prüfen Transformationspfade und entwickeln Strategien.

Henkes: Darüber hinaus bringen sie Anwendungen in die Public Cloud, betreiben, pflegen und entwickeln sie dort weiter – gerade das erfordert Expertise und Experten. Wenn die Hyperscaler Innovationen und Modifikationen im Wochentakt einführen, dann gilt es, eigene Cloud-Native-Anwendungen dahingehend permanent abzuprüfen, um die individuelle Kundensituation auf die neuen Möglichkeiten zu mappen und entsprechende Handlungsempfehlungen zu geben.

Kaufmann: Wie wirken sich Änderungen aus? Macht es Applikationen teurer, langsamer oder vielleicht sogar günstiger? Und was empfehle ich meinen Kunden? So smart, wie die Cloud-Native-Applikationen selbst sind, so intelligent sind sie betriebswirtschaftlich zu verwalten und zu administrieren, damit sie für die Auftraggeber profitabel bleiben.

Apropos profitabel: Wie verdienen die Kunden denn über die Public Cloud Geld?

Kaufmann: Etwa mit datenbasierten Produkten, smarten Services und digitalen Diensten. Und egal, ob Big Data, künstliche Intelligenz oder Internet of Things: All das sattelt dort auf, wo die Cloud-Native-Applikationen digitale Werte schöpfen – in der Public Cloud.

Henkes: Per se erst einmal gar nicht, sofern sie nicht die florierenden Marktplätze nutzen, um selbst als Anbieter am Markt aufzutreten. Es geht vielmehr um Flexibilität, Elastizität von IT-Services respektive Produkten und Geschwindigkeit beziehungsweise Innovationskraft, die es in einer zunehmend digitalen Welt mit exponentiellem IT-Wachstum und Erfindertum sicherzustellen gilt. Geschäftsmodelle müssen heute in den meisten Fällen IT-basiert sein beziehungsweise digitale Komponenten haben. Investitionen in die IT-Landschaft sind Investitionen in das eigene Geschäft respektive die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Wer IT als reinen Selbstzweck ansieht, bei dem es vor allem darauf ankommt, Kosten zu reduzieren, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Dennoch können durch moderne, IT-basierte Automation, die Nutzung intelligenter Services auch Kosten eingespart werden. Dafür sorgen nicht nur Serverless Computing und AI- beziehungsweise ML-Chips auf Hardware-Ebene, sondern auch minuten- beziehungsweise sekundengenaue Abrechnungszyklen der Public Cloud.

Warum verstehen das Unternehmen scheinbar nur zögerlich?

Henkes: Weil die Technologie selbst komplex ist. Wer beispielsweise Altapplikationen einfach um ihrer selbst willen in die Public Cloud hievt (Lift & Shift), der wundert sich am Ende über die Kosten, die der Betrieb verursacht…

Kaufmann: …derart monolithische Anwendungen können eben nicht automatisch skalieren. Sie besitzen nicht die Intelligenz, um Rechen- und Speicherressourcen eigenständig zu buchen. Wo die standardisierten Cloud-Native-Applikationen agil sind und atmen, sind Altanwendungen starr, unflexibel und sperrig.

Wie sieht die Lösung da aus?

Henkes: Gewissermaßen müssen die Altprogramme aufgebrochen, in ihre Bestandteile zerlegt, in Microservices gemäß einzelner Workloadstreams umgepackt und mit Container- beziehungsweise Serverless-Technologien abgebildet werden.

Kaufmann: So lässt sich auch die Intelligenz ins Spiel bringen, die notwendig ist, damit Software in der Public Cloud optimale Leistung entfaltet.

ISG und EuroCloud Native (ECN) wollen sich jetzt für den Cloud-Native-Standort Deutschland stark machen. Warum?

Henkes: Wir wollen die zumeist kleinen und jungen Firmen sichtbarer machen. Dazu arbeiten wir gemeinsam an einem Weg, um die Anbieterlandschaft in Deutschland zu erfassen, abzubilden und zu bewerten.

Kaufmann: Zum einen helfen wir den Providern dabei, den eigenen Standpunkt zu bestimmen und Pfade für die eigene unternehmerische Transformation zu erkennen. Zum anderen unterstützen wir die Kunden, passende Anbieter auf dem Markt zu finden und auszuwählen.

Henkes: Welche Kriterien und Methoden wir dabei zugrunde legen werden, diskutieren wir aktuell. Und das nicht nur im Gespräch zwischen ECN und ISG, sondern auch mit den Mitgliedern der Cloud-Native-Initiative. Schließlich sollen auf der einen Seite die Anbieter vom Ergebnis profitieren und auf der anderen Seite Endanwenderunternehmen in die Lage versetzt werden, den gemäß ihrer Situation und Herausforderung richtigen Partner zu finden.

Wie zeichnet sich die hiesige Anbieterlandschaft eigentlich aus?

Henkes: Zum einen technologisch in Bezug auf die Sicherheit und Erfahrenheit im Umgang mit diesen neuen Technologien, aber vor allem auch bezüglich der organisatorischen Reife und der Cloud-Native-Management-Kultur liegt der DACH-Raum weiter hinter den USA, wobei die Schweiz aufgrund der bedeutenden Swissness etwas mehr Aufholbedarf hat. Mit dem Perfektionismus deutscher Unternehmer oder der über allem thronenden Anforderung lokaler Datenhaltung und -hoheit der Schweiz kann sich die Agilität der US-Anbieter nicht messen lassen. Die Folge: In den USA probieren die Firmen einfach aus, bauen eigene Abteilungen für die Public Cloud auf, gehen Risiken ein und lernen aus Fehlern.

Kaufmann: Nicht so in Deutschland. Der Mittelstand ist hoch spezialisiert, fokussiert sein Kerngeschäft und will jeden Fehler per se vermeiden. Kennen sich die Unternehmen mit einem Thema nicht aus, gehen sie kein Risiko ein und holen stattdessen externe Partner an Bord.

Henkes: Diese Regel mussten übrigens auch die US-Hyperscaler erst lernen. Genau da kann die ECN zukünftig eine wichtige Rolle spielen, um die großen Public-Cloud-Anbieter noch stärker mit dem deutschen Mittelstand ins Geschäft zu bringen.
Kaufmann: Denn egal, ob Kundenbeziehungen, Geschäftsmodelle oder Produktlebenszyklen – wer die eigene Wertschöpfung über IT und Software neu denken und modern managen möchte, der kommt an Cloud Native nicht vorbei.

Wir danken für das Gespräch!

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Über Nils Klute
Nils Klute ist IT-Fachredakteur. Egal, ob für IT-Medien wie heise.de, zdnet.de und silicon.de, für IT-Unternehmen wie SAP, T-Systems und Sony oder für B2B-Agenturen wie Palmer Hargreaves, Pleon Kohtes Klewes (heute Ketchum) und rheinfaktor – Nils Klute schreibt und spricht seit mehr als 15 Jahren über die Themen, die die IT- und Digitalwirtschaft bewegen. Von der Datenwirtschaft mit Gaia-X über Künstliche Intelligenz im Mittelstand bis hin zu Cloud-Native-Technologien - als Projektmanager Kommunikation Cloud Services ist er bei EuroCloud Deutschland_eco e.V. für das Content Marketing rund um die Themen des Verbands verantwortlich. Zudem unterstützt er KI-Projekte wie Service-Meister und Initiativen wie EuroCloud Native, Channel2Cloud oder EuroCloud Next Leaders mit Blogbeiträgen, Namensartikeln, Interviews, Pressemitteilungen, Konzepten und Strategien. Beruflich wie privat ist er auf LinkedIn und Twitter unterwegs.